EU-Parlament stimmt für Gesetz zur Sicherung kritischer Rohstoffe (Electrive, 12-13)
Das Parlament der Europäischen Union hat grünes Licht für das Gesetz zur Sicherung kritischer Rohstoffe unter anderem für E-Auto-Batterien gegeben. Gegenüber der Original-Vorlage des „Critical Raw Materials Act“ hat das Gremium einzig an der Recyclingquote gedreht - an dieser dafür umfänglich.
Die Union will ihre eigenen Ressourcen an kritischen und strategischen Rohstoffe künftig stärker nutzen. Ein entsprechendes Gesetz haben die EU-Parlamentarier nun mit 549 zu 43 Stimmen bei 24 Enthaltungen angenommen. Der Rat muss die neuen Vorschriften nun noch förmlich billigen. Danach werden sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Der Durchbruch für den sogenannten „Critical Raw Materials Act“ erfolgte bereits Mitte November mit einer informellen Einigung zwischen Parlament und Rat.
Die einzige Änderung zum vorherigen Entwurf ist die Recyclingquote, die vom Parlament gegenüber dem bisherigen Plan auf 45 Prozent erhöht wurde – “unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit”, wie es heißt. Dazu gleich die Details.
Zur Einordnung zuvor etwas Hintergrund: Die EU-Gremien feilen seit mehreren Monaten an einem Gesetz, das den Zugang der EU zu einer „sicheren, diversifizierten, erschwinglichen und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen“ gewährleisten soll. Für den Elektromobilitäts-Markt ist das Dokument vor allem hinsichtlich der Wertschöpfungs- und Lieferkette für Elektrofahrzeug-Batterien relevant. Im März 2023 hatte die EU-Kommission ihre Vorschläge für den „Critical Raw Materials Act“ vorgelegt. Im Anschluss beschäftigten sich Parlament und Rat mit dem Vorstoß. Zu einer informellen Einigung kam es wie erwähnt vor rund vier Wochen, sodass sich der „Critical Raw Materials Act“ nun seiner endgültigen Fassung nähert.
Worum geht es inhaltlich? Im Kern will sich die EU lokale Quoten für den Abbau, die Weiterverarbeitung und die Gewinnung via Recycling von kritischen Rohstoffen auferlegen. Als Maßstab gilt dabei der Gesamtbedarf in der Europäischen Union. Für 2030 schlug die Kommission 10 Prozent aus eigener Gewinnung, 40 Prozent aus Verarbeitung und 15 Prozent aus Recycling vor. Zudem soll die EU 2030 nicht mehr als 65 Prozent ihres jährlichen Bedarfs für einen strategischen Rohstoff aus einem einzigen Drittstaat beziehen. Auf dieses Weise beabsichtigen die Gremien, die bislang sehr hohen einseitigen Abhängigkeiten vor allem von China zu reduzieren.
Höhere Recycling-Quote beschlossen
Parlament und Mitgliedsstaaten tragen diese Regelung mit – wollten aber bereit im Zuge ihrer informellen Einigung an einem Punkt nachschärfen: Beim Recycling-Ziel für 2030 plädierten sie für eine Quote von 25 Prozent. Im jetzt erfolgten Beschluss des Parlaments liegt dieser Wert nun sogar bei 45 Prozent. In der Gewinnung von strategischen Rohstoffen aus Abfallprodukten sehen die Abgeordneten also einen großen Hebel.
Wortwörtlich nimmt das Parlament zu seinem Beschluss folgendermaßen Stellung: “Erstens sollte die Union ihre eigenen geologischen Ressourcen strategischer Rohstoffe stärker nutzen und Kapazitäten aufbauen, damit sie die Rohstoffe gewinnen kann, die für die Produktion von mindestens 10 % des Verbrauchs der Union an strategischen Rohstoffen benötigt werden. {…] Zweitens sollte die Union ihre Verarbeitungskapazität entlang der Wertschöpfungskette erhöhen und in der Lage sein, mindestens 40 % ihres jährlichen Verbrauchs an strategischen Rohstoffen zu erzeugen.[…] Daher sollte die Recyclingkapazität der Union in der Lage sein, mindestens eine Zunahme des Umfangs der Recyclingkapazität von 10 % auf der Grundlage der Ausgangssituation 2020-2022 für jeden strategischen Rohstoff zu erreichen, damit mindestens 45 % jedes im Abfall der Union enthaltenen strategischen Rohstoffs unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit gesammelt, sortiert und verarbeitet werden. Diese Richtwerte beziehen sich auf den Zeithorizont 2030.”
Bereits im November betont das Parlament zudem, dass es auch Ziel sein müsse, grundsätzlich „die Nachfrage durch Ressourceneffizienz und technologischen Fortschritt zu dämpfen“ und einen stärkeren Fokus auf Forschung und Innovation in Bezug auf Ersatzmaterialien und Produktionsprozesse zu legen, die Rohstoffe in strategischen Technologien ersetzen könnten. Sprich: Auch der „Hunger“ nach kritischen und strategischen Rohstoffen muss gedämpft werden. Dieses Ziel findet sich im Gesetz gleich in Artikel 1 (Gegenstand und Ziele) wieder.
Außerdem sind in dem Schriftstück Listen für kritische und strategische Rohstoffe enthalten. Als kritisch gelten nun Antimon, Arsen, Bauxit, Baryt, Beryllium, Bismut, Bor, Kobalt, Kokskohle, Kupfer, Feldspat, Flussspat, Gallium, Germanium, Hafnium, Helium, Schwere Seltenerdmetalle, Leichte Seltenerdmetalle, Lithium, Magnesium, Mangan, Natürlicher Grafit, Nickel (in Batteriequalität), Niob, Phosphorit, Phosphor, Metalle der Platingruppe, Scandium, Siliciummetall, Strontium, Tantal, Titanmetall, Wolfram und Vanadium.
Die Liste strategischer Rohstoffe ist ein Novum. In ihr werden Rohstoffe notiert, die „in Zukunft potenziellen Versorgungsrisiken“ ausgesetzt sein werden. Viele decken sich mit den heute schon kritischen Rohstoffen. Die folgenden Rohstoffe gelten als strategisch: Aluminium, Bismut, Bor (in metallurgischer Qualität), Kobalt, Kupfer, Gallium, Germanium, Lithium (in Batteriequalität), Magnesiummetall, Mangan (in Batteriequalität), Natürlicher Grafit (in Batteriequalität), Nickel (in Batteriequalität), Metalle der Platingruppe, Seltenerdmetalle für Magnete (Nd, Pr, Tb, Dy, Gd, Sm und Ce), Siliciummetall, Titanmetall und Wolfram.
Alle Gremien waren und sind sich einig, dass hoher Handlungsbedarf besteht und der „Critical Raw Materials Act“ die EU wettbewerbsfähiger und souveräner machen soll. Zur Umsetzung der genannten Zielwerte führte die Kommission in ihrem Vorschlag aus dem März ein ganzes Bündel an Maßnahmen an, die auf verschiedenen EU-Ebenen ansetzen. Als zentrale Weichenstellung – nun auch vom Parlament beschlossen – sollen künftig etwa strategische Rohstoffprojekte als Vorhaben des öffentlichen Interesses betrachtet werden. Als Folge sollen strategische Bergbauprojekt anstatt wie bislang innerhalb von etwa zehn bis 15 Jahren innerhalb von 24 Monaten genehmigt werden können. Für Projekte im Verarbeitungs- und Recyclingsektor soll es innerhalb von zwölf Monaten grünes Licht geben können.
Die Kommission schlug im März zudem vor, eine Überwachung kritischer Rohstoffversorgungsketten einzuführen und die Koordinierung der strategischen Rohstoffvorräte zwischen den Mitgliedstaaten anzuschieben. Außerdem sollen große Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre strategischen Rohstoffversorgungsketten zu prüfen.Parlament und Mitgliedsstaaten unterstützen diese Vorstöße.
Wertschöpfung verlagert sich bereits heute nach Europa
„Dieses Gesetz ist der Entwurf einer neuen Industriestrategie für eine sichere und nachhaltige Rohstoffversorgung in der EU. Wir schaffen Planungssicherheit – mit gezielten wirtschaftlichen Anreizen für private Investoren, zentralen Anlaufstellen für Unternehmen und schnellen und einfachen Genehmigungsverfahren mit klaren Fristen für nationale Behörden. Dadurch werden Abbau, Verarbeitung und Recycling in der EU angekurbelt“, resümiert Europaabgeordnete Nicola Beer (Renew).
Zum Hintergrund: Kritische Rohstoffe werden durch die zunehmende Digitalisierung, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Verkehrswende in immer größerem Umfang nachgefragt. Die grüne und industrielle Transformation hängt maßgeblich von der Verfügbarkeit von Lithium, Kobalt, Neodym und anderen Rohstoffen ab.
Wie sich der Batterie-Rohstoffmarkt in Europa zurzeit entwickelt, hat jüngst Markus Hackmann, eMobility-Geschäftsführer bei P3, in unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ skizziert. Er legte dabei alarmierende Zahlen zur Preisentwicklung vor, hatte aber auch positive Nachrichten im Gepäck: Die Wertschöpfung verlagert sich mehr und mehr nach Europa. Bis 2030 werden laut Hackmann jedoch bei der prognostizierten Nachfrage bei allen Materialien Lücken in der Versorgung klaffen, weshalb die EU jetzt Vorsorge treffen müsse. Hier geht es zum komplett aufgezeichneten Vortrag.